Neuaufstellung der Psychosozialen Notfallversorgung für Feuerwehrleute im Kreis Herzogtum Lauenburg
Elmenhorst/Mölln (LOZ). Wenn der Pieper geht, wissen Feuerwehrleute nie, was sie am Einsatzort erwartet. Nur eines steht fest: Jemand ist in Not und braucht Hilfe. Und zwar schnell. Sekunden können über Leben und Tod entscheiden. Oft kann Schlimmes verhindert werden.
Manchmal aber reichen Schnelligkeit und Einsatz nicht aus – nämlich dann, wenn Unfallopfer nur noch tot aus einem Fahrzeug geborgen werden können oder Menschen im eigenen Haus bei einer Flut ertrinken. Dann sind auch Feuerwehrfrauen und -männer hilf- und machtlos. Das sind Einsätze, die Rettern alles abverlangen und Spuren auf den Seelen und in den Köpfen hinterlassen – unabhängig davon, wie stark und gefestigt eine Einsatzkraft ist.
Ein Einsatz, der bei vielen Feuerwehrleuten Spuren hinterlassen hat, ist der Brandanschlag in Mölln am 23. November 1992. In der Nacht warfen zwei Neonazis Molotowcocktails in Häuser von türkischen Familien. Dabei kamen zwei Mädchen im Alter von 10 und 14 Jahren sowie ihre 51-jährige Großmutter in den Flammen ums Leben. Die restlichen Familienmitglieder retteten sich mit Sprüngen aus dem Fenster und erlitten dabei teils schwerste Verletzungen.
Die Bilder der Nacht sind dem Möllner Feuerwehrmann Hans-Herrmann Albrecht noch immer präsent. „Stundenlang waren wir im Einsatz und haben das Leid der Familie hautnah mitbekommen“, sagt der 68-Jährige. Noch in der Nacht sei ihm klar geworden, dass die Helfer nach diesem Schreckensszenario nicht allein gelassen werden dürfen. Dieser dramatische und traurige Einsatz müsse verarbeitet und aufgearbeitet werden, sonst sei die Gefahr groß, dass die Feuerwehrleute bald selbst nicht mehr können. „Wir sind ja auch nicht immer nur die Starken“, sagt Albrecht.
Nur wie konnte den Einsatzkräften geholfen werden? Was war zu tun? „Ein vorgefertigtes Konzept gab es damals noch nicht“, erinnert sich Albrecht, der zudem stellvertretender Bürgermeister der Stadt Mölln ist.
Zusammen mit Hinrich Jansen-Dittmer (verstorben 2015), Feuerwehrmann und Diplomsoziologe aus Breitenfelde und erfahren in der Trauma Verarbeitung, entwickelte er ein Sieben-Punkte-Konzept. Dieses bildet bis heute die Grundlage für die Psychosoziale Notfallversorgung und Feuerwehrseelsorge (PSNV) – nicht nur im Kreis, sondern im gesamten Land. „Wir waren absolute Vorreiter“, sagt Albrecht stolz. Teile des Konzepts flossen später sogar ein in die aktuellen Leitlinien der Psychosozialen Notfallversorgung des Bundesamts für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe. Das Sieben-Punkte-Konzept ist so etwas wie eine erste psychologische Hilfe. Im Kern geht es darum, belastende Einsätze durch Gespräche, Entspannungs- und Bewegungstechniken – und eben nicht wie früher mit Pillen oder Alkohol – in der Gruppe aufzuarbeiten und bei Bedarf weiterführende Hilfsangebote zu vermitteln. So soll die mentale Belastung verringert und verhindert werden, dass das Leben der Helfer aus dem Takt gerät.
Sich die Dinge von der Seele reden, das hilft nicht nur jedem einzelnen, „sondern stärkt am Ende die gesamte Gruppe“, ist Albrechts Erfahrung aus mehr als 30 Jahren in der Notfallversorgung. 27 Jahre davon war der pensionierte Lokführer und Vater von sechs Kindern Fachwart für die Psychosoziale Einsatznachsorge im Kreisfeuerwehrverband. Mit seinem frohen und starken Gemüt hat er zusammen mit seinem Team dafür gesorgt, dass die Retter mit ihren seelischen Nöten nicht allein gelassen wurden. Die Kraft dafür holte er selbst sich auf Spaziergängen mit seiner Hündin.
Wie viele Hilfsgespräche er in all den Jahren geführt hat, kann Herrmann nicht so genau sagen. „Hunderte werden es gewesen sein.“ Wichtig war jedes einzelne davon. „Ohne eure Unterstützung wären wir untergegangen“, war das schönste Kompliment, das ihm ein Kamerad zum Dank gesagt hat, erinnert sich Hans-Herrmann Albrecht.
Ende 2023 ist Hans-Herrmann Albrecht mit 68 Jahren in den passiven Feuerwehrdienst eingetreten. Seitdem hat sich der Kreisfeuerverband in der Psychosozialen Notfallversorgung und Feuerwehrseelsorge neu aufgestellt.
Andreas Bischoff ist Albrechts Nachfolger und der neue Kreisfachwart. Der 55-jährige Feuerwehrmann und ausgebildete Notfallseelsorger aus Klinkrade musste nicht allzu lange überlegen, als er gefragt wurde, ob er das Ehrenamt übernehmen möchte. Der Vater von vier Kindern war selbst nach einem besonders schweren Rettungseinsatz mit persönlichem Bezug nicht mehr zur Ruhe gekommen. „So sollte es keinem Kameraden gehen“, sagt der Sozialarbeiter und Trauma-Pädagoge, der in einem Jugendzentrum in Ahrensburg arbeitet. Damals habe er erfahren, wie gut es tut, über das Erlebte, seine Gefühle und Gedanken zu reden.
Ihm zur Seite stehen bei dieser wichtigen Aufgabe die Ratzeburger Feuerwehrfrau Jenny Heitmann und der Ratzeburger Feuerwehrmann und Feuerwehrseelsorger Jürgen Hensel. Der Theologe, der auch Blaulichtpastor genannt wird, bietet den Kameraden nach extremen Situationen langfristige seelsorgerische Begleitung an.
Die drei können sich bei ihrer Arbeit auf ein 17-köpiges Team von neun Frauen und acht Männern aus den Reihen der Wehren verlassen. Die sind zur Stelle, wenn den Rettern im Kreis ein Einsatz zur sehr an die Nieren ging.
In diesem Jahr wurde ihre Hilfe bereits 36-mal angefordert, wobei nicht hinter jedem Einsatz ein dramatisches Feuer oder tödlicher Unfall steckt. „Ein immer größerer Teil unserer Arbeit nimmt die Prävention ein“, sagt Bischoff. Da stellen sie dann auf Informationsabenden in den Wachen sich und ihrer Arbeit vor.
Der Kreisfeuerwehrverband (KFV) Herzogtum Lauenburg mit aktuell mehr als 7.100 Engagierten in 127 freiwilligen und zwei Berufsfeuerwehren hat sein Nach- und Vorsorgesystem in den vergangenen Jahren immer weiter ausgebaut „Wir sind da gut aufgestellt. Das System funktioniert besonders dadurch, weil es von vielen mitgetragen wird“, sagt Kreiswehrführer Sven Stonies dankbar für dieses wichtige Engagement. In der Feuerwehr gehe es seit jeher wie in einer Familie zu, „aber die PSNV hat dafür gesorgt, dass wir noch einmal mehr aufeinander achtgeben“, unterstreicht Stonies.