Liebe Freunde und Freundinnen des Lebens,
vor ein paar Tagen fand ich auf dem von Wildkraut überwucherten Kompost in meinem Schrebergarten eine große Raupe von atemberaubender Schönheit. Sie war leuchtend grün mit orange-schwarzer Musterung. Als ich sie berührte, fuhr aus ihrem Kopf ein rotes Abwehrorgan heraus, das die Fachleute als Nackengabel bezeichnen. Noch nie im Leben habe ich eine solche Raupe, geschweige denn eine Imago gesehen - vom Schwalbenschwanz! Eingeborene Geesthachter behaupten, dass es diese Falter hier vor 50 Jahren in großen Mengen gab. Aber warum gibt es sie heute nicht mehr? Als ich im Internet googelte, fiel es mir wie Schuppen von den Augen: Wir Gartenbesitzer haben sie vertrieben, indem wir ihre Lebensgrundlage zerstörten. Denn die Lieblingsspeise einer Schwalbenschwanzraupe ist „Unkraut“! Sie frisst Giersch, diesen von Gartenbesitzern so verhassten und bekämpften „Dreck“, wie er in meiner Kleingartenanlage genannt wird.
Ist es nicht tragisch, aber auch unfassbar ignorant, dass wir Menschen die Schönheit der Schmetterlinge bewundern und ihren Anblick als beglückend empfinden, aber gleichzeitig ihre Existenzgrundlage zerstören?
Geesthacht hat sich der Nachhaltigkeit verschrieben. Aber was ist nachhaltig an wildkrautfreien Schottergärten? Was ist nachhaltig an dem Flächenfraß, der in der Oberstadt voranschreitet, wo immer mehr Grünfläche dem Bau von riesigen Gewerbehallen weichen muss und versiegelt wird, wo das Umweltamt bzw. der NABU wahrscheinlich im kommenden Frühjahr keine Krötenzäune mehr aufzubauen braucht, weil es weder Kröten noch Frösche mehr gibt, weil auf deren Winterquartieren heute Gewerbebauten stehen?
Was ist nachhaltig an einer Ortsumgehung, die als vierspurige Autobahn unter anderem dazu dienen wird, den Lkw-Verkehr zum Gewerbegebiet zu verstärken? Welch gigantische Versiegelung wird mit dem Bau dieser Straße einhergehen, deren Befürworter behaupten, sie sei notwendig, um den zu starken Kraftverkehr aus unserer Stadt herauszuhalten. Dabei fließt durch Geesthacht fast nur noch Ziel- und Quellverkehr, also von uns Einwohnern verursachter, innerstädtischer Verkehr! Sind Ihnen vielleicht auch die gähnend leeren Straßen in den Sommerferien aufgefallen, während derer keine Elterntaxis die Kids zur Schule und anderswohin kutschierten? Aber auch der Lastverkehr ist hausgemacht, denn die Lkw versorgen uns mit den Gütern, die wir für unseren immer verschwenderischen Lebensstil brauchen. Nicht zu vergessen die wachsende Armada der Paketdienste!
Haben wir es hier nicht mit einem neuen Fall von Kleidern für den Kaiser zu tun? Und ist nicht die artenreiche Natur genauso wertvoll wie die Gewerbesteuer, die unsere Stadt mit dem wachsenden Gewerbegebiet erzielt? Ist das wirklich gut für unsere Lebensqualität – immer mehr, immer größer, immer raumgreifender? Können wir nicht mal zufrieden sein?
Unser Leben im Überfluss findet statt auf Kosten der Natur, die doch aber Grundlage unseres Lebens ist. Hat das noch mit Nachhaltigkeit zu tun?!
Ich stehe unter Schock seit dem Tag des Raupenfundes, seit mir meine ganz persönliche Verantwortung für das Aussterben der Schmetterlinge so eindringlich bewusst wurde. Jetzt werde ich den Giersch auf meinem Kompost wachsen lassen und hegen und pflegen, damit eines Tages ausgewachsene Schwalbenschwänze durch meinen Garten flattern.
Übrigens, am kommenden Freitag rufen die Kids for Future zum Marsch fürs Klima auf, um 14 Uhr in Hamburg und um 13 Uhr in Lüneburg.
Jutta Bellwinkel
Geesthacht